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Dein Coach, das unbekannte Wesen?

Wird ein Coach persönlich oder bedeutet Professionalität, nur der neutrale, unpersönliche  Begleiter des Klienten zu sein?

„Meine Klient*innen wissen nichts von mir, das gehört zur professionellen Distanz. Vielleicht erzähle ich mal vom Urlaub oder einem ganz besonders schönen Biergarten. Alles andere geht sie nichts an und führt zur Irritation. Der Klient steht im Mittelpunkt, ich bin nicht wichtig.“

Er meint, dass Menschen, die zu uns ins Coaching kommen, ja selbst gerade Probleme haben, nicht stabil sind – da würde sie ein Coach, der selber gerade schwach ist, nur unnötig verunsichern.

So spricht und denkt ein sehr geschätzter, erfahrener und gut beschäftigter Coach Kollege.

 

Und was mache ich? Ich blogge über meine Depressionen und Liebeskummer. Ich schreibe in WhatApp Statusmeldungen und auf Twitter, wenn es mir elend zumute ist, ich wütend oder traurig bin oder ratlos oder verletzt. Und das liest, wer immer das lesen mag. Und somit natürlich auch Seminarteilnehmende, Coachingklient*innen, Besucher*innen meiner Vorträge oder Leser*innen meiner Bücher.

Es gibt diese beiden Ansichten über professionelles Coaching. Beide sind richtig, für den jeweiligen Coach. Beides kann gutes Coaching sein.

Warum ich UNGESCHMINKT bin – I walk my talk

Im Februar 2021 hab ich mein UNGESCHMINKT Blog begonnen. Zwar mit ziemlichem Herzklopfen und einigen kritischen Stimmen um mich herum und auch in mir – zu dem Zeitpunkt war es aber alternativlos.

Ich bin eine große Verfechterin von  „Walk your talk!“. Mir ist es ein großes Anliegen, Menschen dabei zu unterstützen und sie zu ermutigen, mehr zu ihren Ängsten, Problemen, Krisen zu stehen und mehr darüber zu reden. Soviel ist in unserer Gesellschaft inzwischen in der absoluten Tabuzone – darüber spricht „man“ nicht: Depression, Krankheit, Sterben, Tod, Süchte, Ängste, Selbstzweifel, Wut, Trauer, Neid - alles, was unsere dunkle Seite zeigt, was nicht gefotoshoppt, hochglanzpoliert und easypeasy fröhlich bunt und leicht ist. So, als ob erfolgreiche Menschen keine Ängste kennen, keine Schwäche zeigen (oder haben)  , immer gut drauf sind, alles gewuppt kriegen, immerzu nach schneller-höher-weiter-Zielen streben und natürlich auch immer glücklich sind und keine Krisen kennen.

Toxische Selbstoptimierung und die überfüllte Tabuecke

Ob das Instagram ist oder der Smalltalk auf Events, ob das die Erfolgsgeschichten mit den 10 goldenen Regeln des Erfolgs sind – ois easy, sagt der Bayer. Ich finde da zunehmend toxisch und ungesund, weil es soviele Menschen mit Problemen zunehmend verstummen lässt. Sie setzen sich ihre „professionelle“ Maske auf und funktionieren, vergraben alles Dunkle tief in ihrem Inneren oder sprechen höchstens mit dem Partner oder Coach darüber. Und sie leben in dem Glauben, alle anderen kriegen es gewuppt, dies Leben, nur sie nicht – dadurch vereinsamen sie und verhungern seelisch.

Ich mag dieses Gesellschaftsspiel nicht mitspielen. Mag nicht etwas anderes vorleben als das, was ich meinen Klient*innen ans Herz lege. Also zeige ich mich als Mensch. Der helle Seiten hat – 5 Bücher geschrieben, seit 30 Jahren selbstständig, viele namhafte Konzerne und Wirtschaftsunternehmen als Auftraggeber, 10 Jahre Ausbilderin für Business Coaches etc. Und der wie jeder andere Mensch eben auch dunkle Seiten hat: Depressionen, Phasen größter Einsamkeit, Liebeskummer, Trauer und Verlust, Krankheit und Gebrechlichkeit, Wut und Neid auf andere.

Reaktionen auf UNGESCHMINKT

Ja, es gibt Menschen, die das unangenehm, kontraproduktiv oder erfolgsgefährdend finden, einige Kommentare im O-Ton:

 

Ø Will ich von der Frau fürs Selbstbewusstsein wissen, dass sie Depressionen hat? Nein, will ich nicht, das zerstört den Zauber.“

Ø  „Frau Stackelberg, als Frau fürs Selbstbewusstsein / als Frau von über 50 sollten Sie mit Liebeskummer allmählich umgehen können.“

 

Es gibt jedoch viel mehr Menschen, die meine Ehrlichkeit mutig finden, sehr schätzen oder mich gerade deshalb buchen oder zum Vorbild nehmen – auch hier einige O-Töne:

Ø  Ein Unternehmensberater:  „Aus meiner eigenen Lebenserfahrung und aus der Arbeit mit meinen Kunden im Topmanagement weiß ich: Unter jedem Dach ein 'Ach'. Wer sich so "nackig" machen und seine Verletztheit zeigen kann, wie Du hier, Bettina, ist in diesem Moment nicht nur sehr wütend oder traurig, sondern auch extrem stark!“

Ø  Eine Oberärztin einer Klinik: „Beeindruckend! Pionierin der Seele in dieser dramatischen Zeit! Bitte ganz viel davon! Wir brauchen Sie, Frau Stackelberg!“

Ø  Ein Geschäftsführer im Mittelstand: „Mir geht das ganze Erfolgsgedudel auf Plattformen wie LinkedIn und Co nur noch unsagbar auf die Nerven. Mir ist lieber, ein Coach hat selber Erfahrung mit Krisen gemacht und sie überlebt. Das bringt Demut und Verständnis. Kann mir nicht vorstellen, zu einem Coach zu gehen, der noch nichts erlebt hat oder dessen Leben immer glatt verlaufen ist.“

Warum ich auch meine dunklen Seiten zeige und niemanden schützen muss

Wenn ich zu tief in einer depressiven Phase stecke, sage ich Coachings ab – da geht dann gar nichts. Wenn ich also Klient*innen empfange, live oder via Zoom, geht es mir gut genug, um eine professionelle Coachingsitzung  abzuhalten. Ich setze mich also meinen Klient*innen nicht heulend auf den Schoss und klage ihnen mein Leid. Natürlich steht er oder sie im Mittelpunkt!

Muss ich Menschen schützen, mute ich Coachées, die selbst problembeladen und schwach sind,  zuviel zu, wenn sie sehen oder gelesen haben, dass es mir nicht gut geht?

Nein! Das wäre in meinen Augen Bevormundung. Weil ich dann davon automatisch ausgehen würde, dass sie damit nicht umgehen können, dass es sie verschreckt oder verunsichert. Dass ich sie eben schützen muss.

Nein, ich muss sie nicht schützen. Es sind erwachsene, gesunde, eigenverantwortliche Menschen mit all ihren Ressourcen. Ich mute es ihnen zu. Ich mute mich ihnen zu. Weil ich davon ausgehe, dass sie damit umgehen können. Sie erleben die Ambivalenz des Lebens: Dass ein guter, professioneller Coach auch in Krisen stecken und schwach sein kann. Dass ein guter Coach ihnen helfen kann, sich selbst im Augenblick aber vielleicht nicht. Dass einem guten Coach viele Gedanken und Probleme durch den Kopf gehen, er aber trotzdem interessiert, konzentriert und wertschätzend zuhören und da sein kann.

Vorbildlich?

Damit kann ich außerdem vielleicht meinen Klient*innen  Vorbild sein, damit sie sich selbst mit ihrer Schwäche, ihrer Krise mehr zeigen und nicht nur im Coaching darüber sprechen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie dann oft erleichtert sind, nach dem Motto „Mensch, Frau Stackelberg, wenn selbst Sie in solchen Tälern stecken und nicht rauskommen, dann brauch ich mich ja nicht zu verstecken.“ Geteiltes Leid ist halbes Leid. Wenn ich sehe, dass ich nicht allein bin, ich damit also in Verbindung zu anderen trete, kann mich das entlasten und beruhigen.

 

Und schließlich rege ich die Klient*innen dazu an, zu beobachten, ob sie es vielleicht doch nicht ertragen. Dann können wir darüber reden, das ist ein wunderbares Übungsfeld für Selbstfürsorge: Wenn meine Krise sie selbst so antriggert, dass sie verunsichert werden und wenn sie dies reflektieren, ist das ein wichtiger Schritt im Coaching! Dann können sie selbst die Entscheidung treffen, mich in nächster Zeit einfach nicht in den Social Media zu lesen, um sich selbst zu schützen. Wie gesagt – ich würde nie im Coaching selbst von meinen Problemen erzählen.  Auch wenn ich generell durchaus von (vergangenen) Krisen und Unsicherheiten erzähle. Um zu zeigen, dass „Die Frau fürs Selbstbewusstsein“ auch an sich arbeiten musste, nicht alles in die Wiege gelegt bekommen hat – eben Mensch ist! Dass ihr Coach eine Frau ist, die stark und schwach ist, professionell und ratlos, mutig und ängstlich, souverän und verzweifelt. Eben: Die Ambivalenz des Lebens. Beides kann da sein.

 

Zeigt Euch stark, souverän, fröhlich, kraftvoll, erfolgreich, gelassen! Und zeigt Euch schwach, unsicher, verzweifelt, traurig, ängstlich!

Euer Coach macht es Euch vor!