· 

Die anderen grauen Tage. Wenn ich unerreichbar bin.

Ein Satz, der Jahre her ist und der mir immer noch wie ein Dolch im Herzen steckt. Ein Satz einer sehr sehr nahen Person, die mich mein Leben lang kennt und begleitet. Der ich Minuten vorher davon erzählte, dass ich endlich beim Arzt war und dass bei mir Depressionen diagnostiziert wurden.

 

"Meine Güte, jeder ist doch mal schlecht drauf."

 

Ohne nachzufragen. Ohne verstehen zu wollen.

 

Ja, jeder ist mal schlecht drauf. Auch solche Tage kenne ich. Graue Tage. Normale graue Tage.

An denen stehe ich auf, bin von der Nacht ziemlich gerädert, unausgeschlafen, leicht verspannt, nicht gut gelaunt.

Ich werde nicht richtig wach. Trödle rum. Hab eigentlich etliches auf der to-do-Liste, bleib stattdessen ewig auf Twitter hängen, verlauf mich im Internet, bleib hier hängen, lese dort. Verspanne noch mehr im Nackenbereich. Geh ein bisschen Blumen gießen am Balkon, mach mir nen Kaffee, twittere weiter. Häng rum. Bin unzufrieden, unkonzentriert. Ess zuviel, beweg mich zu wenig. Bin abends dolle frustriert, weil ich Zeit verplempert, nix geschafft und meinen Hintern nicht bewegt habe. So Tage, die weg können. Die wir alle kennen. Wo wir einfach schlecht drauf sind.

 

Und dann gibt es diese anderen grauen Tage.

Die mir und vielen anderen widerfahren, die mit Depressionen zu tun haben. Graue Tage, die bei jedem und jeder anders aussehen. Bei mir zum Beispiel so:

 

Der Tag zuvor war ein schöner Tag. Vielleicht hab ich ein online Seminar gehabt, mit tollen Menschen gesprochen, die Sonne schien, mein Balkon macht mir Freude und ich esse ein Eis vom Italiener gegenüber.

Abends schon schleicht sich grauer Nebel an. Alles, was war, alles Schöne vom Tag ist plötzlich ganz weit weg, wie ausgeknipst, unreal geworden. Ich sitze stundenlang, in mich zusammengesunken, irgendwo rum. Keine Kraft. Kein Licht. Die feste Überzeugung: Ich schaff das alles nicht mehr. Ich finde keine Antwort auf das große "Wozu?". Das Warum ist mir mal wieder abhanden gekommen.

All die Ideen, all die angefangenen Projekte für neue Aufträge, neue Kunden......wozu? Damit ich dann wieder ein bisschen Geld habe? Das dann durch die nächste Steuervorauszahlung gleich wieder weg ist? Tropfen auf den heissen Stein. Sinnlos.

 

Es ist eine graue Stimmung, nicht schwarz. Ich bin nicht tief verzweifelt, schreiend, heulend. Es fühlt sich sehr taub an, ich bin wie stumm und erloschen, tieftraurig, extremst einsam (auch dies befeuert massiv das "Wozu?"), keine Kraft, keine Lust auf Leben mehr in den Knochen. Und immer wieder dieses "Wie soll das gehen? Warum sollte es weitergehen?" Ich beschäftige mich viel mit dem Gedanken, wie es wäre, nicht mehr da zu sein. Endgültig zu gehen.

Keine Sorge, keine akute Bedrohung für mich. Aber der Gedanke, das ich allerschlimmstenfalls all das irgendwann nicht mehr aushalten muss, beruhigt für den Moment ein klein bisschen. Und nur das zählt gerade.

 

Ich weiß in dem Moment schon noch, dass mir meine Arbeit große Freude macht. Ich weiß noch, dass Menschen mich mögen, wertschätzen und auch brauchen. Mir das jetzt auch mit Vehemenz sagen würden, würde ich sie fragen.  Dass ich einen Job hier auf der Welt habe. Ich weiß auch noch, das gestern ein guter Tag war. Und ich ahne, dass vielleicht morgen oder übermorgen wieder ein guter Tag wird.

 

Ja, ich weiß es ... im Kopf. Aber ich fühle es nicht, im Herzen, im Bauch. Und daher berührt und hilft es mir nicht. Es ist wie abgeschnitten von mir, außerhalb von mir. Dieses Wissen bin nicht ich. Ich bin das, was leer, grau, taub, still, kraftlos ist.

 

Ich weiß genau, dass ich eine Freundin anrufen könnte, die mir das immer und immer wieder anbietet. Für deren unermüdliche, unerschütterliche Liebe ich ihr so immens dankbar bin, einer der sehr sehr raren Felsen in meiner Brandung.

Aber es geht nicht. Entweder bin ich so weit weg im grauen Nebel, dass mir die Idee gar nicht kommt. Oder aber ich sitze 2 Stunden mit dem Hörer in der Hand da, die eingespeicherte Nummer schon aufgerufen ...und dann lege ich den Hörer zurück in die Ladestation. Es geht nicht. Wenns mir ganz und gar schlecht geht, bin ich stumm. Einfach nur stumm.

 

Dann nehme ich wahrscheinlich irgendwann eine Schlaftablette, weil ich es nicht mehr aushalte, weil ich weitere Stunden in diesem Zustand fürchte.

Der nächste Tag ist meist sosolala. Ich rede vielleicht ein, zwei Sätze mit der Nachbarin, gehe einkaufen, erledige ein paar Telefonate. Es scheint alles wieder sehr normal, die Menschen meiner Umgebung erleben mich, wie sie mich mögen - fröhlich, zugewandt, neugierig, sie mögen mich. Und ich denke mir: "Wenn Ihr wüsstet. Ich bin sooo anders." Und dann ziehe ich mich schnell wieder zurück.

 

Der wieder nächste Tag ist vielleicht wieder ein guter. Für den ich dankbar bin. In dem ich in meiner Kraft bin, vielleicht ein Zoom Coaching gebe, das Freude macht, ich lache am Telefon und lese und beantworte Mails, gehe einkaufen, genieße den Frühling., koche mir abends was Schönes. Alles ist gut.

 

Nur: Ich weiß, dass es wieder grau wird. Morgen oder erst in 2 Wochen. Bis dahin kann ich gut agieren, planen, neue Ideen anfangen .....

die ich jedoch nur so schwer endgültig zum Laufen bringe. Dranzubleiben, durchzuhalten, Disziplin zu zeigen ....

 

das wird immer schwerer.

Weil das Grau die Basis zu sein scheint. Das, was mich bestimmt und nur manchmal weg ist. Zwischendurch, zum Ausruhen.

Ich finde, es müsste andersrum sein: Gute Tage und ab und zu mal Grau.

 

Irgendwann hab ich kein Geld mehr. Irgendwann hab ich keine Lust mehr. Irgendwann hab ich keine Kraft mehr.