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Ostern, Glück und die Depression. Oder wie auch auf Sand Gebautes stabil sein kann.

Folgendes las ich vor einigen Tagen auf Twitter:

Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Dieser Satz von Vaclav Havel ist für mich die wundervollste Beschreibung von Hoffnung. Sie leuchtet auch wenn man gerade im Dunkel verzweifelt.

 

Egal, wie es ausgeht. Das gefällt mir sehr. Und ist ehrlicher und anders als "Jetzt ist wieder alles gut."

 

Heute morgen, es ist Ostersonntag, bin ich ganz früh durchs stille, sonnige Schwabing geradelt, einfach kreuz und quer, ziellos. Hab im Luitpoldpark das frische Grün und die vielen Krokusse und Osterglocken gesehen, stattliche wunderbare Gründerzeitvillen, viele kleine Cafes und Antiquitäten- oder Modeläden. Ein paar Papis waren mit ihren Kindern schon Semmeln holen, sonst schlief noch alles. Ich fuhr durchs Siegestor und genoss die Stille, die Sonne und meine Lieblings-, meine Heimatstadt.

Auf dem Rückweg fuhr ich selbst beim Bäcker vorbei, holte mir 2 Mohnsemmeln. Daheim machte ich mir meinen großen Becher starken Assamtee, süß, mit Milch und genoss bei offener Balkontür das Vogelzwitschern mitten in der Stadt. Stundenlang las ich meine Wochenend-SZ, frühstückte und lauschte dem erwachenden Milbertshofen. Kinderlachen unten aus dem Garten, wo Väter zuvor die Ostereier versteckt haben. Das sich-unterhalten der türkischen Jugendlichen, was von den Tischtennisplatten aus dem kleinen Park von gegenüber rauf zu mir drang. Meine Wohnung, die mir nach dem 3/4 Jahr schon so ans Herz gewachsen ist, die mir Schutz, Hort, Nest und neue Heimat geworden ist.

 

Im Augenblick geht es mir gut. Ich bin dafür sehr dankbar - zu sehr stecken mir noch die vergangenen Monate in den Knochen, wo alles dunkel, bodenlos, einsam, depressiv, verzweifelt, müde, voller nicht-mehr-wollen war.

 

Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit einer alten Freundin. Sie fragte:

"Und? Wie gehts dir?"

Ich erzählte davon, stabiler zu sein, den Frühling zu genießen, netten Besuch gehabt zu haben, mit dem ich viel lachte.

Sie atmete erleichtert auf und sagte:

"Oh wie schön - endlich ist also wieder alles gut bei Dir - wie vorher."

 

Ich zögerte kurz und antwortet:

"Nein, XYZ, es ist nicht wie vorher. Es wird nie wieder wie vorher. Es geht mir gut im Augenblick. Dafür bin ich sehr dankbar und ich weiß, dass es mir auch wieder schlecht gehen wird. Es geht mir gut und ich weiß trotzdem nicht, ob ich es schaffen werde."

 

Sie war empört über diese, wie sie es nannte, "ungesunde Schwarzmalerei", ich solle doch endlich mal das Gute sehen und nicht so unken.

 

Ich kenne diese Sehnsucht so gut. Dieses "Irgendwann ist alles gut und bleibt auch so." Irgendwann ists geschafft. Dann ist alles gut oder wie vorher - siehe Corona. Irgendwann bin ich glücklich und bleibe es, weil ich genug Therapie gemacht habe und es endlich Tabletten gibt, die Depression endgültig heilen. Irgendwann ist alles gut.

Welch trügerisches Gedankenspiel. Welch kindliches Denken. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie glücklich bis an ihr Lebensende. Märchenhaft. Ein Märchen. Nicht die Realität.

 

Es geht mir deutlich besser, seit ich mich von diesem Märchen verabschiedet habe. Nicht, weil ich resigniere oder schwarz sehe. Sondern weil ich dadurch mehr Boden unter den Füßen habe, stabiler bin, reifer.

Es macht mir stärker, zu verstehen: Genieße, sei dankbar und stolz darauf, dass Du gerade in gutem Fahrwasser bist. Dass es hell ist und fröhlich und leicht und frühlingsgrün. Schau dankbar und liebevoll auf die schwarzen Zeiten, die gerade vorbei sind und Dir fast den Lebensmut nahmen - und die wiederkehren können. Sie müssen es nicht, aber sie können wiederkehren. Und es schwächt Dich nur, wenn Du krampfhaft vor dieser Ahnung wegläufst, wenn Du es nicht wahrhaben willst.

 

Mein Lebenswille, meine Kraft ist nicht in Beton gegossen, ist nicht stabil wie die Pyramiden oder die Berge. Aber meine Kraft ist in ihrer Unstabilität irgendwie doch stabil - irgendwie in dynamischer Balance und dadurch stabil. Wie der berühmte Bambus im Wind - der sich bis zum Boden biegt, aber nicht bricht wie die vermeintlich unerschütterlich starken dicken Bäume.

Stabil, wie der Steg auf dem Foto, der in den Sand gebaut ist.

Und ich habe dabei offene Augen, die hinblicken. Wenn die nächste Krise kommt, falle ich nicht entsetzt ins Bodenlose oder bin wütend und fühle mich verraten, weil das Leid immer noch nicht vorbei ist und ich endlich belohnt werden will mit immerwährendem Glück.

Immer wieder zwischendurch habe ich diese Sehnsucht und gönne sie mir auch. Ich will endlich und vor allem endgültig glücklich sein, ich will endlich meine Geldsorgen ein für alle Mal los sein und ich will, dass meine große Liebe zu mir zurückkehrt und mit mir in den Sonnenuntergang reitet .... bzw. die Bank vor unserem Häuschen selbst baut, auf dem wir als Alte dann Hand in Hand sitzen werden wie seine Großeltern - ein Traum, den wir träumten, damals.

 

Es ist keine ungesunde Schwarzmalerei, keine Unkerei. Es ist realistisch. Ich bin im Hier und Jetzt, ohne die Augen krampfhaft zu verschließen vor dem Gestern und dem möglichen Morgen.

 

Ich kann es gut nebeneinander stehen lassen und ich kann es gut aushalten: Es geht mir im Augenblick gut. Ich bin stabil. Dafür bin ich dankbar und darauf bin ich stolz, weil ich viel dafür getan habe. Ich mache Pläne, hab Zuversicht.

Und ich weiß trotzdem nicht, ob ich es schaffe.

 

Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Vaclav Havel