Verständnis ist aus!! ⚡️

Sonntag abend ist dieses Foto entstanden, ich hab lange geweint. Und zeige es (zumindest ein Foto, für das ich mich nicht ganz so schäme wie für die anderen) - weil hier ja alles bewusst ungeschminkt ist.

 

Ich mag nicht mehr.

Ich kann nicht mehr.

Verständnis ist aus!!

56 Jahre alt bin ich jetzt. Und gefühlt mein ganzes Leben war ich bis in die Haarspitzen voller Verständnis.

 

Mit 13 Jahren hab ich in mein Tagebuch dies geschrieben:

Ich bin total sauer auf Mami. Und ich muss mich aber zusammenreißen, darf nicht die Tür knallen. Das tät ich sooo gerne. Aber wenn ich das tue, bekommt Mami wieder Asthma und dann geht es ihr schlecht. Manchmal beneide ich Andrea (meine Freundin) dafür, dass sie ganz normal mit ihrer Mama streiten kann, ohne dass was passiert.

 

Ab meinem 11.Lebensjahr bekam ich von meinem Vater teilweise 20-seitige Briefe. Ich fühlte mich sehr erwachsen, weil er mich - so dachte ich - so ernst nimmt und die Mühe macht, soviel zu schreiben.

 

In meiner Kindheit kam mir mein Vater deutlich zu häufig deutlich zu nah. Ich versteinerte, sah darüber hinweg, floh in den besonders sicheren, dicken Frottee Schlafanzug.

 

(P.S. Mein Vater lebte nicht bei uns, beide sind seit Jahrzehnten tot.)

 

1001 psychologisch fundierte Erklärungen hatte ich für seltsames, gefühlloses, liebloses und unreifes Verhalten etlicher Männer in meinem Leben. Er kann halt nicht anders, ich war zu stark für ihn, es ist in seinem Leben alles grad sehr schwer blablabla.

 

Letztes Weihnachten schrieb ich einer sehr guten Freundin eine Mail darüber, wie schlecht es mir geht, wie einsam und depressiv ich bin und dass ich das Telefon ausstecke und daher nicht erreichbar bin. Sie solle sich keine Sorgen deshalb machen. Unter anderem antwortete sie:

....Du jammerst einem die Ohren voll mit Deiner Einsamkeit. Ich mag nicht mit Dir  Seelenbaden im Unglück.

 

Und heute: Ich hatte mehrfach vesucht in den letzten Wochen, sie telefonisch zu erreichen, schrieb eine Mail mit "Ich würde mit Dir gern mal wieder reden." und es kam die Antwort:

Aber im Grunde habe ich leider auch gar keine Lust zu telefonieren. Es ist wirklich sehr vertrackt und tut mir auch leid, aber ich pack´s derzeit nicht.   

Ich kenne sie seit 50 Jahren. Weiß, wie panisch sie Leid, das Dunkle vermeidet - auch ihr eigenes. Weiß, dass sie mich liebt und sich Sorgen macht.

 

Ich habe keinen Bock mehr!!

Das sind keine Trauer- sondern Wuttränen!

 

Ja, ich krieg alles erklärt und verstanden, weil ich psychotherapeutische und andere persönlichkeitsentwickelnde Ausbildungen sowie sehr viel eigene Therapieerfahrung hab und als Coach arbeite. Dies Verständnis hab ich auch weiterhin. Und daneben steht mehr und mehr die Wut.

Ich hab keinen Bock mehr, alles zu verstehen und zu entschuldigen und dafür lieber in Kauf zu nehmen, dass jemand mit meinem Herzen Fußball spielt und auf meiner Seele rumtrampelt.

 

Ja, Mami, ich liebe Dich so sehr und liebte Dich, als Du noch gelebt hast, auch so sehr und tat alles, damit Du das Leben ein kleines bisschen lebenswerter fandest. Aber Du hast mich überfordert! Mir unbeschwerte Kindheit gestohlen. Und meine Seele missbraucht. Ich hab alles getan - aus Liebe. Aber so vieles hat mir nicht gut getan. Ich hätte Dich gebraucht!

 

Vater - ich hab immer Angst vor diesen langen Briefen gehabt. Ich war 11! Ich hab die Hälfte nicht verstanden, war völlig überfordert. Und wenn ich sie mir von meiner Mutter hab erklären lassen, hast Du das als Vertrauensbruch gebrandmarkt. Ich hätte einen Vater gebraucht, der mit seiner 11-jährigen einfach mal Eis essen oder in den Zoo geht!

Und ich war ein Kind!! Und Deine Tochter. Und Du hast mir gefälligst nicht zu nah zu kommen. Ich will das nicht!

 

Ihr ganzen Arschloch Männer, die Ihr mich verletzt, gedemütigt, missachtet oder als Therapeutin, Verständnisvolle, Ausbüglerin, Ausruh-Ort missbraucht habt, die Ihr es wunderbar gefunden habt, wie stark, wie verständnisvoll, klug, sexy, witzig, intelligent, eloquent, erfahren, unanstrengend ich doch bin: Fuck you!

 

Und liebe (ehemals) beste Freundin: Ich erlaube es Dir nicht mehr, aus eigener Unfähigkeit und Gefangensein so mit mir umzugehen. Wie kannst Du es wagen?

 

Verständnis ist aus!

 

Vielmehr: Es bleibt das Verständnis, das Verstehen und Einordnen-können - oft genug verfluche ich dieses Wissen - ich werde jedoch ab jetzt deutlich mehr auf mich achten. Ich werde sehr viel genauer hinspüren, was mir gut tut und was nicht. Ich werde besser wählen, mit wem und was ich mich umgebe.

 

Reifer werden heißt, schärfer trennen und inniger verbinden.

Hugo von Hofmannsthal