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Probleme brauchen Platz und Zeit.

Ich habe viele Coaching- und Therapieausbildungen und alle sind sie systemisch und

 

LÖSUNGSORIENTIERT.

 

Klar möchte ich Menschen dabei unterstützen, dass es ihnen besser geht, sie es leichter haben, Lösungen finden und wieder glücklich und erfolgreich sein können.

Nur geht das nicht so schnell mit Hex-Hex-Simsalabim.

 

Grad gestern hatte ich wieder eine Mentorcoaching Stunde. Ich arbeite mit in der Münchner Akademie für Business Coaching und die Menschen, die dort ausgebildet werden, analysieren mit mir ihre Übungscoachings. Die Klientin erzählte mir von ihrem letzten Übungscoaching dies:

  • Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe. Mein Klient berichtete mir von der fiesen Auseinandersetzung mit seinem Chef - er war wirklich in Rage. Und ich hab ständig versucht, die Tools anzuwenden, die ihn raus aus dem Problem, rein in das Lösungsdenken bringen sollen. Und immer wieder hat er nachgelegt, der Chef hätte noch dieses Unverschämte gesagt und sei im dort ins Wort gefallen. Der ist echt verliebt in sein Problem. Da funktioniert Lösungsorientierung nicht.

Die Sorge hab ich gar nicht. Ich denke schon, dass ihm eine Lösung, eine Verbesserung der Situation wichtig sind. Aber vielleicht einfach JETZT noch nicht?

Vielleicht ist es noch zu früh? Vielleicht brauchen seine Wut, seine Verzweiflung, seine Resignation, sein Unverständnis, sein Hadern einfach noch ein bisschen mehr Zeit und Platz?

 

Meiner laaaaangjährigen Erfahrung als Coach nach ist das ausnahmslos so: Wenn Menschen genügend Raum und Zeit für ihr Leid bei mir bekommen, wenn sie sehen: Die Stackelberg hält das aus, sie ist noch da, rollt nicht mit den Augen oder unterbricht mich genervt oder unangenehm berührt, sie hört mir zu, sie lässt mich reden, weinen, wüten, wettern. ....

dann.....irgendwann.....werden sie ruhiger, entspannter, reden und wüten nicht mehr, sondern sitzen ein bisschen zusammengesunken, aber friedlich da und blicken mich stumm an....

 

DANN kann ich erste leise Versuche machen, Hinweisschilder aufzustellen zu Lösungswegen. Aber nicht vorher!!!

 

Leid, Angst, Depression, Wut, Verzweiflung brauchen Zeit und Raum. Den dürfen sie sich nehmen. Den sollten wir ihnen geben. Danach sind sie offen für Neues.

 

Auch im vergangenen Coronajahr hab ich das sehr oft beobachtet. Wie schnell in der Öffentlichkeit, in den Medien, auf Blogs und in Interviews dazu übergegangen wurde zu:

  • Wie mach ich jetzt was Gutes draus? Du kannst Corona nicht ändern, aber deine Sicht.
  • Mach das Beste aus dem Lockdown: Tipps zum Entrümpeln und Yoga/Russisch/Ikebana/Programmieren lernen
  • Wie stärke ich meine Resilienz?
  • In jeder Krise steckt eine Chance.
  • Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen

(AAaaarrgh!! vor allem beim letzten Statement krieg ich inzwischen echt Schnappatmung. Jahaaaa. Aber manchmal ist eben ein Scheissproblem erstmal nur ein Scheissproblem!!)

 

Nicht selten hab ich dann in der Videokonferenz das Wort ergriffen oder in den Chat geschrieben:

Hallooo? Hat hier eigentlich jemand ANGST? Existenzangst vielleicht? Oder Angst um seine Familie? Oder vor der Gewalt des Partners/der Partnerin? Oder oder oder? Bevor wir über Lösungen reden?

 

Hinter den Kulissen - also nie offen im Chat oder per Mikro!! - bekam ich soviel Resonanz darauf. Soviel schrieben mir dann:

Ja, ich hab schreckliche Angst. Aber hier sind alles so entspannt und so gut drauf, ich trau mich nicht, was zu sagen. Denen gehts doch allen gut, da mag ich mit meinen Sorgen nicht kommen.

 

 

Also, liebe Menschen da draußen:

Holen wir BITTE Angst und Co aus der Tabuecke raus. Reden wir drüber. Zeigen wir sie. Und halten wir sie auf der anderen Seite aus. Muten wir uns einander mehr zu. Und sehen das von der anderen Seite eben NICHT als Zumutung, sondern als Vertauensbeweis, als etwas Postitives!

Ja? Bitte!

 

 

 

Foto: Convisum/Pitopia