Mein Jahr 2020

Diesen Text habe ich in einer zwar großen, aber geschlossenen Gruppe im Internet geschrieben. Jetzt erfahrt Ihr davon - von meinem Jahr 2020.

 

Das Jahr 2020 war das schlimmste Jahr meines Lebens. Und doch wird das jetzt kein Jammertext. Dieser erste Satz ist einfach eine ziemlich nüchterne Feststellung. Und trotzdem gab es GUTES.

 

Die große Liebe meines Lebens ist Anfang des Jahres zerbrochen und mit ihr all meine Zukunftsvisionen. Alles war – das erste Mal in meinem Leben – auf lebenslange gemeinsame Zukunft ausgerichtet. Und ich kann noch nicht mal böse auf ihn sein: Sein Leben explodierte und es war kein Platz für eine Beziehung mehr da. Immer noch zwischendurch bereitet mir dieser Verlust geradezu körperliche Schmerzen. Ich habe noch nie so geliebt und bin noch nie so geliebt worden.

 

Ich habe in all den vergangenen Jahr(zehnt)en deutlich zu naiv und sorglos mit meinem Geld gewirtschaftet. Womit ich gottlob nicht hadere, weil es müßig wäre. Dies jedoch zusammen mit ca. 80% Umsatzeinbußen durch Corona bedeutet jetzt: Ich habe noch ein paar tausend Euro. Punkt. Keinen Cent Altersvorsorge.

Diese Tatsache raubt mir an manchen Tagen, an denen ich unendlich angestrengt und erschöpft bin, schier den Verstand. Die Vorstellung, mein restliches Leben arbeiten zu müssen. Und an anderen Tagen ist es einfach so. Punkt. Ein Fakt. Ohne Emotion. Mit nüchternem Blick, was jetzt zu tun ist. Für diese Tage – wenn auch sehr selten - bin ich DANKBAR!

 

2 Wochen vor Corona hab ich meine zu teure Wohnung gekündigt … um dann in der Coronakrise eine Wohnung suchen zu „dürfen.“ Jede Woche wurden 3-6 Wohnungsanzeigen auf Immoscout deaktiviert. Ansonsten viele Besichtigungen mit dem Taxi, unsagbar arroganten Maklern und gefühlt 2 Millionen double-income-no-kids als Konkurrenz (die ich selbst alleinstehend, über 50 und soloselbstständig bin.).

Zu allem Überfluß dann auch noch große Enttäuschung und schrecklichen Streit mit meinen Vermietern, bei denen ich 18 Jahre so gut aufgehoben war.

Das Schicksal – dafür bin ich zutiefst DANKBAR – schickte mir dann eine Vermieterin, die ich mir sonst hätte backen müssen: Eine zauberhafte 76-jährige Münchnerin, die sich keine goldene Nase verdienen will auf dem Münchner Mietmarkt und die auf meine Nachfrage „Ich bin aber selbstständig, ist das ok für Sie?“ lediglich sehr pragmatisch meinte: „Mei, Hauptsache die Wohnung ist ein gutes neues Nest für Sie …und wenns Eana dös nimma leistn kenna, dann müssens hoit wieda ausziagn.“ Eine in der Tat absolut fantastische Wohnung, die mir enorm viel Schutz, Halt und neue Heimat ist. Wieder in der Stadt – wieder mit mehr Leben um mich herum also nach 18 Jahren auf dem Land. Das ist GUT.

 

GUT ist auch, dass ich ohne Corona mich sicher nie im Leben derart ins Digitale hineingefrickelt hätte. Dafür bin ich sehr DANKBAR! Ich hab mit der Haufe Akademie ein sehr erfolgreich laufendes E-Learning Programm „Selbstbewusst im Job“ entwickelt, im August dafür in Freiburg 2 Tage lang viele Videos gedreht mit enorm großem Spaß.

 

Vom Endprodukt bin ich wirklich überwältigt – ja, auch von den technischen Möglichkeiten, von dem begnadet guten Videofilmer, aber in der Tat auch von meiner Leistung, meinem Wissen. Außerdem liebe ich inzwischen Zoom sehr und entdecke allmählich Möglichkeiten für mich. Deren Umsetzung in die Tat ich aber achtsam verfolge, weil ich viel Schnellschuss Aktionismus beobachte und mich daran nicht beteiligen möchte.

 

Meine Themen ändern sich. Meine Kunden werden sich dadurch ändern. Ich weiß, dass das gut und richtig und wichtig ist. Es ist aber auch eine große Prüfung für mich, mir treu zu bleiben. Weiter an neuen Ideen und Konzepten zu arbeiten und nicht in Putzjob/Babysitting Aktionismusjobs zu verfallen aus Existenzangst.

 

Die Coronakrise hat das Beste und das Schlimmste im Menschen hervorgekehrt. Das war fürchterlich zu beobachten. Und es war ganz wunderbar, zu erleben! Von wo plötzlich Zuspruch, Trost, ein offenes Ohr und offene Herzen in mein Leben kamen – ein großes Geschenk, für das ich sehr DANKBAR bin.

 

Ich habe mich vor Weihnachten getraut, über dies hier zu twittern: Dass ich mich sehr vor der Einsamkeit an Weihnachten fürchte und mir deshalb Weihnachtspost wünsche. Da hab ich also um die 17 Briefe und Karten bekommen und eine Einladung einer wildfremden Frau, zu zoomen. Heilig Abend wurde also weniger einsam als ich befürchtete – ich hab 2 Stunden wunderbar gezoomt und mich mit einer tollen Frau ausgetauscht und habe die Briefe gelesen, nachdem ich mir Gutes gekocht hatte.

 

Erkenntnis daraus: REDEN WIR MEHR ÜBER UNSERE ÄNGSTE!! Auch darum wird es in meiner nächsten großen Aufgabe gehen. Um diese riesengroße Tabuecke, wohin all das so Wichtige und Natürliche im Leben verbannt wurde: Angst, Zweifel, Krise, Verzweiflung, Depression, Tod, Krankheit etc. etc.

 

Dazu kam dann noch die seit einigen Jahren attestierte und medikamentös eingestellte Depression, die sich natürlich deutlich dunkler und ausladender zeigte als in Nicht-Krisen Zeiten.

 

So häufig wie nie im Leben zuvor dachte ich an Freitod. Nicht panisch oder besonders verzweifelt, auch nicht mit konkreten Überlegungen – oft einfach sehr ruhig, als Beruhigung, dass ich all das nicht zwingend weitererleben muss!

 

Darüber wiederum mit Menschen zu reden, brachte mir auch enorm viel Erkenntnis, wofür ich DANKBAR bin. Wer es aushält, wer von seinen eigenen Ängsten und Gedanken dazu berichtet – und wer sich erschrocken abwendet oder mit solch Unsäglichkeiten kommt wie „Also, Du als die Frau fürs Selbstbewusstsein solltest aber schon mit solchen Krisen klarkommen können.“

 

Ich bin radikaler geworden – und das ist mir ein großer GEWINN. Ich verabschiede mich klarer von Menschen und Themen. Dadurch committe ich mich deutlich intensiver zu anderen Menschen und Themen. Der Satz von Hugo von Hoffmansthal „Älter zu werden heisst, schärfer zu trennen und inniger zu verbinden.“ ist mal wieder so wahr.

 

Viel Klarheit, innere Ruhe – für die ich nach den letzten Monaten unendlich DANKBAR bin!!! – und eine beginnende neue innere Ausrichtung stützt mich. Noch weiß ich nicht, ob und wie ich es schaffe – aber ich bin sehr viel zuversichtlicher als noch vor Wochen. Und sicher können wir sowieso nie sein.

Von Herzen für Euch,Bettina